EISNER, WLADIMIR

   

DIE EISMEERJÄGER

„Hast du diesen Artikel gelesen?“ – Der Chefredakteur unserer Regionalzeitung war schlecht gelaunt. – Immer sammeln die Moskauer allen Quatsch und stecken´s dem Leser in den Busen. So einen „grünen“ Blödsinn habe ich noch nie gesehen!“
Es ging um den Bericht in einer „grünen“ Zeitung. Der Verfasser empörte sich über die Ringelrobbenjagd in unserer Gegend, aber einem aufmerksamen Leser wurde sofort klar, dass der Autor nie bei einer Robbenjagd mitgemacht hatte, nie auf dem Packeis gewesen war, und auch nie unter Frost und Wind gelitten hatte. Es waren also Fehler unterlaufen, die einen Kenner nur zum Lachen brachten.
„Guck mal, was der Bengel hier nicht alles zusammengeschmiert hat!“, tobte der Chef weiter. – „Die Jäger verfehlen manches Ziel, die verwundeten Tiere krepieren aber sowieso, verwesen und verfaulen auf dem Meeresgrund und verderben das Wasser in der Bucht! Trächtige Weibchen werden abgeschossen und das ist nicht nur unmenschlich, das schadet der Population! Man vernichtet die Seehunde an der ganzen Nordküste Russlands, und was bleibt dann für unsere Kinder? Toll! Toll! Aber kein Wort darüber, dass es eine traditionelle Beschäftigung der Bevölkerung ist, dass man Robbenfett in der Parfümerie und Medizin verwendet, dass man den Robbenfang schon tausend Jahre betreibt, dass aber die Zahl der Seehunde trotzdem nicht weniger geworden ist... und, und, und... Dein Vater war doch ein Berufsjäger, was?“ - unterbrach er sich plötzlich selbst.
„Das schon, aber...“
„Aber, bitte, kein „aber!“ - Das heißt – du kennst die Leute und zwar von Kindheit an! Was willst du mehr! Morgen, bitte, los! Dein Ticket liegt bereit! Eine Extra-Reportage muss es sein! Die Wahlen stehen vor der Tür, und wir müssen allen zeigen, welche Partei sich um die Arbeitplätze kümmert und Traditionen bewahrt. Was wird der Boss sagen, wenn wir auch in jenem Nest an Stimmen verlieren?“
Per Hubschrauber war ich schon am nächsten Tag vor Ort auf der Insel Dikson in der Kara-See. Ich besprach alles mit dem alten Jäger Michail Kuschakov, einem Freund meines verstorbenen Vaters. Wir fuhren zusammen mit anderen Jägern zu dem Jägerhaus auf einer kleinen Insel mitten im Meerbusen.
Gegen Morgen hörte ich im Schlaf einen schweren Knall und dann dumpfes Getöse. Eine Vibration ging durch den Unterbau und das Haus erzitterte mit allen seinen dicken durchfrorenen Balken: die Ebbe zerriss das Packeis!
Die Jäger, Gewehre in den Händen, eilten hinaus in die graue Dämmerung des kalten Morgens. Einige legten die Gewehre an um zu prüfen, ob das Korn vorne am Lauf gut zu sehen war, die anderen zogen mit Schleppriemen ihre Winterboote ans offene Wasser.
Der alte Jäger Kuschakov und ich zogen unser Boot auch an den Rand der Eisbarriere und nahmen dort Platz.
Der schwarze Zickzack des Risses dampfte im Morgenrot. Hier und da tauchten aus dem Wasser die fußballrunden Köpfe der Ringelrobben auf, die zur Oberfläche kamen, um Luft zu schnappen.
Schüsse knallten... Mir schien, als ob die Kugeln direkt in die blutrote aufgehende Sonne flogen...
Wieder ein Schuss... Das Blut des getöteten Tieres verfärbte das Wasser. Schnell mit dem Boot! Zwei, drei Ruderschläge, ein heftiger Schlag mit dem Eisenhaken – und die tote Robbe ist außenbords angehängt. Jetzt schnell zurück zum Gehilfen. Gemeinsam das Boot aus dem Wasser gezogen, die Beute zur Seite gelegt, Boot mit dem Bug wieder zum Riss gerichtet. Der Schütze, das Gewehr im Anschlag, wieder auf der Wache!
Manche Weibchen waren ziemlich dick. Solchen schnitt man den Bauch auf und nahm das tote Jungtier heraus, eine wunderschöne „Puppe“ mit gelb-grünem fleckigem Fell und schwarzen offengebliebenen Augen. Wenn das kleine Wesen noch zappelte, tötete man es sofort mit einem Messerstich in den Hinterkopf. Das Innenfett eines Robbenjungtiers ist gut gegen Bronchitis...
Nach einiger Zeit bemerkte ich, dass manche Schüsse das Ziel verfehlten. Minus vierunddreißig war es. Bei schneidendem Nordwind. Die Finger erstarrten einem an dem kalten Eisen und wurden taub. Angeschossene Tiere verschwanden im schwarzen Wasser und kamen nicht mehr zur Oberfläche. Die Jäger griffen öfters zur Thermosflasche, schlürften heißen Tee, und wärmten sich die Hände an den Bechern.
Plötzlich reichte Kuschakov mir das Fernglas:
„Na so was, guck` mal da hin. Sie schwimmen weg wie Torpedos... Der Wind trägt den Blutgeruch hinaus. Jetzt gibt’s eine Gaudi! Bald geht’s los...“
Während ich die Schärfe besser einstellte, tauchte der Kopf eines Polarbären deutlich aus dem Nebel hervor. Hinter ihm, wie im Kielwasser eines Eisbrechers, schwamm noch ein Kopf, ein kleinerer. Die Bärin schwang sich hoch, übersprang die Eisbarriere und schüttelte sich das Wasser aus dem Fell. Dasselbe machte auch das zweite Tier, ein halbgroßes Junges. Die Jäger begannen zu schreien, in die Luft zu schießen und Signalkugeln abzufeuern. Vergeblich! Die von Nahrung und Blutgeruch verrückt gewordenen Bären liefen schnell zum ersten Haufen der getöteten Robben und los ging’s mit Zähnen und Klauen!
Diese Robben waren Beute des Jägers Tschernov und seines Gehilfen Savin, einem Neuling bei der Robbenjagd. Tschernov, ganz außer sich vor Wut und Ärger, rannte herum wie ein Besessener. Er fluchte unaufhörlich und knallte Leuchtkugeln in die Luft. Wären die Eisbären nicht staatlich geschützt, hätte er beide Tiere ohne weiteres abgeschossen.
„Was stehst du da wie ein Depp? Jage, jage sie weg, fort mit ihnen! Brauche ich einen Gehilfen, der nur rumsteht und glotzt? Verdammt! Im Nu haben sie meinen ganzen Monatslohn vernichtet!“
Wütend näherte sich Tschernov dem jungen Bären, der sprang sofort zähnefletschend auf ihn zu.
„Lass die Tiere! Lass sie fressen! Sieh, wie ausgehungert sie sind!“, entgegnete Savin.
Beide Bären waren wirklich sehr mager. Jede Wirbel, jede Rippe, jeder Sehnenknoten war unter dem eisbedeckten Fell deutlich erkennbar.
„Wie denn – „lass sein?“ Wieso –„lass sein“? Verschenken? Ein Tier ist ein Tier und soll sich selbst Nahrung beschaffen! Los, peitsche ihr eins!“, brüllte Tschernov aufgebracht. „Verpass ihr eine „gute“ Erinnerung!“
„Was meinst du mit „peitschen?“, fragte Savin verwundert.
„Schieß so, das die Kugel nur das Fell zerreißt! Dann hauen sie ab, erfahrungsgemäß“.
„Bist du noch normal? Mit meinem 9 - Millimeter -Karabiner? Solch eine Wunde verheilt nie! Und wenn das Tier krepiert? Dann ist der dran, der geschossen hat! Nicht du, sondern ich. Und, überhaupt, hast du kein Mitleid?“
Kolossov, der Jägermeister, kam zu den Streitenden-.
„Die Tiere müssen wir loswerden, Jungs, sonst kommen sie wieder und verderben uns die ganze Arbeit“. Er nahm das Gewehr von Savins Schulter und schoss der Bärin unter den Bauch. Die schwere Kugel schlug ins Eis. Harte Splitter trafen das Tier in Bauch und Pfoten, aber die Bärin knurrte nur drohend; sie hörte nicht auf an der Robbe zu zerren und zu reißen.
„Sieh dir das an! Scheisse! Sie pfeift darauf! Aber jetzt kriegste was, du freches Ding!“
Tschernov presste sein Kleinkalibergewehr an die Schulter und zielte so, dass die Kugel das Tier nur streifen sollte.
Der Schuss fiel. Vom Hinterteil der Bärin flogen weiße Haare hoch und schwarz-rotes Blut tropfte aufs Eis. Die Bärin brüllte laut auf, biss sich in die verwundete Stelle, als ob sie die Kugel herausziehen wollte, dann eilte sie fort. Kam aber dann schnell wieder zurück, stieß das Junge von der Robbe weg und führte es mit, hinaus ins Packeis.
Leider wurden die übrigen Robben durch diesen Lärm, das Geschrei und die Leuchtkugeln verschreckt. So luden die Jäger ihre Beute auf die Schlitten und fuhren zurück zur Hütte. Kuschakov und ich schleppten unsere Robben, acht an der Zahl, in eine Scheune neben das Jägerhaus und stapelten sie da auf.
Drinnen gab’s einen Imbiss. Tschernov saß am Tisch, sein fettes Gesicht war schweißbedeckt. Er beklagte sich über sein Schicksal.
„Schon wieder Pech gehabt! So ein guter Tag und nur zehn geschossen. Besser gesagt – acht, denn zwei haben die Bären gefressen. Kolossov aber – dreiundzwanzig! Und der Gehilfe, der Neuling, hat sich auch nicht bewährt. Anstatt die Tiere zu vertreiben meinte er: „Lass sie sich satt fressen!“ Und wenn sie alles vernichtet hätten? Und im vorigen Monat, im Januar, während der Polarnacht, nur drei Stück erlegt. Den ganzen Monat im Frost und Wind! Wie soll’s nur weiter gehen? So kann man die Familie nicht ernähren! Und der da sagt: „Lass sie fressen!“ Aus diesem Burschen wird nie ein Eismeerjäger. Hab’ ich recht, Männer?“
Die Jäger brummten vor sich hin oder schwiegen. Ich stand auf und ging hinaus. Die Füße brachten mich wie von selbst zum Jagdplatz. Da erblickte ich wieder die beiden Bären. Sie fraßen den fett- und-blutdurchtränkten Schnee und nagten an den Blutflecken auf dem Eis. Und dort, auf dem Tisch in der Hütte, ist ja so viel übriggeblieben... Als die Bärin mich wahrnahm, zischte sie laut, gab dem Jungen einen heftigen Stoß mit der Pfote und beide trabten eilig davon in Richtung Packeis. Mit einem roten Flecken auf dem Hintern lahmte die Bärin merklich. Tschernov hatte gut „gepeitscht“...
Als ich zurückkam, saß Savin draußen auf dem Schlitten und starrte stumm vor sich hin.
Er schaute mich ernst an: „Na, wie waren deine Jagdeindrücke?“
„Wunderbar! Bin begeistert! Habe noch nie so was erlebt! Eine Arbeit für Männer, nicht war? Wäre ich nicht Journalist – wäre ich gerne Jäger! Und du? Wenn die Probezeit vorbei ist – bleibst du?“
Savin spuckte auf’ s Eis:
„Morgen kündige ich“.
„Was? Wegen dieses Geizhalses? Sei gescheit, Junge, hab’ Vernunft!“
„Mit diesem Geizkragen hat das nichts zu tun. Etwas anderes hat mir wehgetan... Als mir die Hände erstarrten, habe ich bis zu zehn Mal verfehlt,... angeschossen..., die Anderen auch nicht weniger... Ein angeschossenes Tier krepiert ja doch, und krepiert mit Qualen... Stell` dir vor wie viele tote Robben jetzt in der Tiefe unter uns liegen... Und das – nur an einem Tag...
„Na, was ist los mit dir? Bist du von gestern? Der Mensch hat schon immer Tiere getötet. Nicht aus Lust – wegen der Nahrung!“ Und wenn man hobelt, da fallen Späne!“
„Weiß ich, aber doch... das Blut, das viele Blut, das blutbespritzte Eis steht mir immer noch vor Augen. Bin ein Mechaniker und Schweißer, werde schon was finden.“
Ja, Tschernov hat Recht, aus diesem Burschen wird nie ein Jäger...
Am nächsten Tag schrieb ich den Bericht. Es war eine „so-wie-sie-sein-soll Reportage“. Da gab es keine erkälteten, hustenden, im schneidenden Wind tanzenden Jäger. Es gab auch keine Ringelrobbenbabys und schon gar keinen angeschossenen Bären. Mein Chef und der Boss, beide, waren harte Männer, und ich war sehr um meinen Arbeitsplatz besorgt.